Rede Maximiliane Jäger-Gogolls zur Mahnwache am 26.02.22

Die Fraktion Marburger Linke und der Kreisverband DIE LINKE. Marburg-Biedenkopf veröffentlichen aus Transparenzgründen hiermit die Rede Maximiliane Jäger-Gogolls, die sie als Repräsentantin des Bündnisses "Nein zum Krieg!" nicht in voller Länge auf der von der Stadt Marburg organisierten Mahnwache am 26. Februar 2022 halten konnte:


Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Mitmenschen,

im Namen des Marburger Bündnisses „Nein zum Krieg!“ meinen herzlichen Dank an die Vorredner*innen für ihre engagierten Reden; unser herzlicher Dank auch an den Magistrat der Universitätsstadt MR für die Initiative, dieses große Zeichen für den Frieden zu setzen... wie auch an die unzähligen anderen Initiativen, Kundgebungen und Mahnwachen in unserem und vielen anderen Ländern – besonders auch in Russland (!) – die ein Zeichen dafür setzen, dass Krieg kein Mittel der Politik ist und sein darf. Kriege gehen überall und immer auf Kosten der Zivilbevölkerung. Es sind die Schwächsten, die am meisten unter ihnen leiden. Wir sind erschüttert, die Menschen zu Tausenden vor den Kriegshandlungen aus der Ukraine fliehen zu sehen. Ihnen sollte jede mögliche Hilfe und Aufnahme entgegengebracht werden (Marburg...).

Das Marburger Bündnis „Nein zum Krieg!“ verurteilt die militärische Invasion Russlands in der Ukraine. Sie verletzt das UN-Gewaltverbot und ist durch nichts zu rechtfertigen. Das Gebot der Stunde heißt: Deeskalation, Rückzug des russischen Militärs und Rückkehr an den Verhandlungstisch. (Die Ankündigung einer Aufnahme von Verhandlungen zwischen dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj und Wladimir Putin ist unbedingt zu begrüßen und zu unterstützen.)

Unsere Bundesregierung ist dringend aufgefordert, sich mit all ihrer Kraft für friedliche Lösungen des Konflikts einzusetzen. Auch wenn der Krieg den Schritt zu all dem schwieriger macht, muss eine Wiederaufnahme von Gesprächen auf allen Ebenen erreicht werden: von bilateralen Gesprächen über die OSZE, vom Europarat bis hin zum NATO-Russland-Rat – Institutionen, die angesichts des angeheizten Konfrontationsdiskurses (in Politik und Medien) weitgehend ausgeblendet und aus dem Bewusstsein der Öffentlichkeit verschwunden sind.

Deeskalation, nicht weitere Aufrüstung ist das Gebot des Moments. Es ist und bleibt eine Tatsache, dass es für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands keine Rechtfertigung gibt. Doch können wir (der„Westen“) nicht die Augen davor verschließen, dass dieser Krieg eine lange Vorgeschichte hat und auf schlimme Weise das Scheitern auch unserer eigenen Politik vor Augen führt. (Wenn Verhandlungen eine Chance haben sollen, müssen wir das zur Kenntnis nehmen.) Wir müssen anerkennen, dass die massive Einmischung in den Bürgerkrieg in der Ukraine seit Jahren nicht zu Frieden geführt, sondern die Spannungen verstärkt und die Umsetzung des Minsker Abkommens zumindest nicht befördert hat. Wir müssen es zur Kenntnis nehmen, dass die NATO gegen ihre eigene Zusicherung und gegen den Willen Russlands seit den 1990er Jahren ihre Grenzen immer weiter nach Osten verschoben und Militärbasen in unmittelbarer Reichweite des russischen Territoriums etabliert hat (...Ansatz für “6. Erweiterungswelle“ der NATO nach Osten: Signale an die Ukraine, für Beitrittsgespräche offen zu sein...) Und wir müssen uns – leider! – daran erinnern, dass es die NATO selbst ist, die (über die Jahrzehnte hinweg) mit völkerrechtswidrigen (weil ohne UN-Mandat geführten) Angriffskriegen (in Jugoslawien, in Afghanistan, im Irak, in Libyen und Syrien) Präzedenzfälle geschaffen hat, die nicht minder verurteilenswert sind als heute der Krieg Russlands gegen die Ukraine.

Meine Damen und Herren, liebe Friedensfreundinnen und Friedensfreunde: Es kann in keiner Weise darum gehen, die Fehler, gar die Verbrechen der einen gegen die der anderen Seite aufzurechnen. Aber wir, die Zivilgesellschaft, wir, die wir (ebenso wie die Menschen in der Ukraine) die Kosten dieser Kriege, dieser Anhäufung von Waffen, Raketensystemen, Kampfpanzern und Atombombern tragen, wir sollten doch spätestens angesichts der erschütternden Vorgänge in der Ukraine die Abkehr von dieser destruktiven Konfrontationspolitik fordern. Es ist nicht zuletzt die Friedensbewegung in der Ukraine selbst, die sich dringend gegen Waffenlieferungen und weitere Aufrüstung ausspricht. Waffen machen die Gesellschaft nicht sicherer, sondern gefährden und zerstören die Wege friedlichen Zusammenlebens. Die unausgesetzte Aufrüstung verschlingt weltweit gigantische Summen von Geld, das wir in so vielen anderen Bereichen dringend brauchen. (Im Jahr 2020 wurden weltweit rund 1.981 Milliarden US-Dollar für Rüstung ausgegeben; 778 Milliarden Dollar in den USA, 61,7 Milliarden Dollar durch Russland, in der Bundesrepublik waren es 52,8 Milliarden Dollar (ca. 44 Milliarden Euro). Auch das hat ein Sprecher der ukrainischen Friedensbewegung nochmals eindringlich bekräftigt: Wir brauchen kein Geld für Waffen! Wir brauchen es für Schulen, für Bildungseinrichtungen, für zivile Infrastruktur, für Krankenhäuser und Pflegepersonal, für Bücher und Schwimmbäder und Austauschprogramme.

Und wir (wir alle) brauchen es dringend, um dem galoppierenden Klimawandel, der durch Militär und Rüstung ebenfalls schwerwiegend vorangetrieben wird, zu begegnen. Der Abbau aller Atomwaffenarsenale, die das gesamte Leben auf unserem Planeten akut bedrohen, gehört zentral dazu. Abrüstung statt Aufrüstung, Verhandlungen statt fortgesetzter Konfrontation, ehrliches Bemühen um multilaterale Zusammenarbeit für Rüstungsbegrenzung und Rüstungsabbau und für den Erhalt eines lebensfähigen Planeten sind das Gebot der Stunde. Es sollte doch nicht dem Krieg geschuldet sein, wenn wir unsere Mitmenschen aus der Ukraine oder aus Russland persönlich kennenlernen. Wir sollten es durch friedlichen Austausch, durch Jugendprogramme, Tourismus und Friedenstreffen tun.

Vielen Dank.

PD Dr. Anne Maximiliane Jäger-Gogoll

Im Namen des Marburger Bündnisses „Nein zum Krieg!"


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Die Oberhessische Presse thematisiert den Vorfall in "4000 Menschen zeigen sich solidarisch" und "Streit um Abbruch einer Rede bei Mahnwache" (€).