Reden der Marburger Linken zur Abwahl von Bürgermeister Wieland Stötzel (CDU)

Die Marburger Stadtverordnetenversammlung (StVV) hat heute Bürgermeister Wieland Stötzel (CDU) abgewählt, dazu die Reden von Stefanie Wittich (stellvertretende Fraktionsvorsitzende) und Miguel Sanchez.

Rede von Stefanie Wittich:

"Sehr geehrte Stadtverordnetenvorsteherin, sehr geehrte Stadtverordnete, sehr geehrte Gäste,

zunächst einmal möchte ich Ihnen danken. Ich möchte Ihnen danken, dass Sie für diese wichtige Entscheidung in der Marburger Politik heute hier her gekommen sind. Denn es ist Zeit für eine Wende! Es geht um die Abwahl eines Bürgermeisters der CDU. Es geht um die Abwahl des Repräsentanten einer Partei, die sich nachwievor der Verantwortung gegenüber unserer Stadt und gegenüber der größten Aufgabe der Menschheit verweigert: Sie verweigert konsequenten sozial ausgerichteten Klimaschutz!

Die sozial-ökologische Transformation Marburgs beinhaltet eine Wirtschaftsförderung, die ökologische Ressourcen und Menschen nicht ausbeutet, sondern jeden einzelnen Menschen schützt und sorgsam mit unseren natürlichen Lebensgrundlagen umgeht. Eine konsequent sozial-ökologische Verkehrswende umfasst eine mutige Abkehr vom eigenen Verbrenner-Auto hin zu einem günstigen, barrierefreien und ökologischen Verkehr für alle. Wir wollen einen konsequent sozial ausgerichteten Klimaschutz. Für uns bedeutet das, Verantwortung zu übernehmen, sich nicht herauszuwinden und mit viel Mut dafür zu kämpfen, dass kommende Generationen nicht um ihre Zukunft bangen müssen, sondern eine sichere und lebenswerte Welt vorfinden.

Herr Stötzel, ich habe Sie in Ihrer Amtsführung als Bürgermeister tatsächlich dafür bewundert, wie paragraphenfest und mit welcher Ortskenntnis Sie gearbeitet haben. Wenn immer ich Sie etwas zu einer Kreuzung gefragt habe, Sie wussten sofort Bescheid. Und ich möchte Ihnen tatsächlich auch danken. Ich möchte Ihnen für einen fairen Umgang miteinander danken. Sie waren kein Scharfmacher. Das Gehetze gegen verdiente Genoss*innen der Marburger Linken hatten Sie nicht nötig.

Aber das reicht nicht. Die Stadt Marburg braucht Menschen an der Spitze, die mutig und entschlossen sozial und ökologisch gestalten. Das ist mit der CDU nicht möglich!

Es wurde zu wenig getan gegen Raserei, gegen die Verstopfung der Innenstadt und gegen zugeparkte Rad- und Fußwege. Aber Radwege sind ja auch nicht die Sache der CDU. Stattdessen sollen das Parkhaus Oberstadt weiter ausgebaut und Verkehrsversuche abgeschafft werden. Auf die Spitze bringt es Ihre Forderung nach dem Behringtunnel. Die CDU möchte den Marburger*innen tatsächlich eine jahrelange und millionenteure Baustelle mit enormen ökologischen Kosten in die Stadt setzen, die letztlich nur einem Ziel dient: Noch mehr Autos!

Die CDU ist nicht bereit, auch nur einen Millimeter dieser Stadt umweltschädlichen Verkehrsmitteln wegzunehmen und umweltfreundlichen Verkehrsmitteln zu geben. Die CDU ist nicht bereit, Verantwortung für eine soziale und ökologische Verkehrspolitik zu übernehmen. Das haben Sie letzten Freitag erneut bewiesen, indem Sie tatsächlich ein Positionspapier, dass den Kommunen mehr Entscheidungsfreiheit in der Verkehrspolitik geben will, ablehnen.

„Ich bin dagegen, egal worum es geht.“ Das haben die Ärzte in den 90er Jahren gesungen. Ich dachte immer, es wäre auf Linke gemünzt. Aber nein: Farin, Bela und Rod singen über die Marburger CDU und ich glaube auch über die FDP! In Ihrer verzweifelten Suche nach Abgrenzung sind Sie einfach gegen alles: gegen eine Tourismus-Info in einem Regionalladen, gegen eine Neuausrichtung der Marburger Messen, gegen eine Verkehrspolitik in kommunaler Hand. Sie sind dagegen, Verantwortung dafür zu übernehmen, was in unserer Stadt passiert.

Am 21. März 2021 haben 2/3 der Wähler*innen für eine soziale und ökologische Politik gestimmt. Der Weg, auf den sich Grüne, SPD, Marburger Linke und Klimaliste seitdem begeben haben, ist wahrlich schwierig und steinig für alle, die ihn gehen. Aber wir gehen diesen Weg mutig. Und wir gehen diesen Weg in voller Verantwortung gegenüber den Menschen unserer Stadt und mit einem klaren Ziel!

Die Marburger Linke stand und steht schon immer für eine sozial-ökologische Verkehrswende, für eine Politik, die die Menschen auf der Straße mitnimmt, und für eine verantwortungsvolle Wirtschaftspolitik, die die Finanzstarken in die Pflicht nimmt, und Mensch und Natur schützt. Unsere politischen Entscheidungen werden daher immer daran geknüpft sein, ob sie diese Stadt in eine lebenswerte Zukunft führen oder nicht.

Mit der CDU ist dies nicht der Fall. Daher wählen wir heute den Bürgermeister Wieland Stötzel ab und verfolgen das Ziel einer mutigen und verantwortungsvollen sozialen und ökologischen Gestaltung dieser Stadt gemeinsam mit den Grünen, der SPD und der Klimaliste."

Rede von Miguel Sanchez:

"Sehr geehrte Stadtverordnetenvorsteherin, sehr geehrte Stadtverordnete, sehr geehrte Gäste,

Herr Stötzel,

wir müssen reden: Ja, Sie haben Ihr Dezernat sehr fair geführt und waren immer loyal gegenüber Ihren Angestellten. Sie haben ihre Leistung gelobt, sich oft bedankt und Sie haben sie nicht mit komplizierten Utopien überlastet. Das macht Sie zwar zu einem sehr fairen Chef. Doch mit Ihrer politischen Linie war und ist die Marburger Linke nie einverstanden. Daher müssen wir reden!

Wir müssen über die Afföllerwiesen reden. Am Anfang dieser Verhandlungen haben Sie zwischen Stadt und privaten Investoren vermittelt. Das können Sie tun. Allerdings hat Sie dazu nie einen öffentlichen Auftrag. Ohne den massiven zivilgesellschaftlichen Widerstand könnte man dies als Gentlemen Agreement bezeichnen. Uns geht es aber nicht um Gentlemen. Uns geht es um die Interessen der Marburger Gesellschaft. Die Marburger Linke stand und steht in dieser Stadt immer hinter den Menschen und nicht hinter der Profitgier. Die Marburger Linke verfolgt immer den Dialog zwischen Zivilgesellschaft, Stadt und den Institutionen. Nur im Auftrag der Menschen dieser Stadt können wir Verhandlungen führen, und zwar absolut transparent und nicht umgekehrt. Daher zeigen wir klare Kante gegen die Gunst der Investoren.

Wir müssen über Grafitti reden: Das Programm der Marburger CDU sagt den Grafittis den entschlossenen Kampf an. "Marburg sei schöner geworden und deswegen habe sich dieser Kampf gelohnt". So antworteten Sie meinem Fraktionskollegen Jan Schalauske in der letzten Sitzung des Stadtparlaments. Doch kaum 40 Entfernungen-Einsätze beweisen das niedrige Interesse, dass die Marburger*innen haben, diese Grafitti zu entfernen. Daraus können wir nur schließen, dass dieser Einsatz nur für eine Minderheit in dieser Stadt wichtig ist. Die Mehrheit hat wichtigere Probleme zu lösen!

Wir müssen über Sicherheit reden: Der große Star Ihres Programms war die Sicherheitspolitik: Die Umwandlung des Ordnungsamts in eine Stadtpolizei und ein neues Sicherheitskonzept. Eine Menge Ressourcen wurden in die Ausrüstung dieser "neuen" Polizei investiert. Es kam zu restriktiven Einsätzen an konfliktreichen Orten, wie den Lahnterrassen oder dem Alten Botanischen Garten. Zwar wurde Kriminalität dort erfolgreich bekämpft, Gastgewerbe und Tourismus nicht gestört. Aber die Konflikte haben sich einfach nur innerhalb der Stadt verlagert, dorthin, wo die CDU nicht hinschaut, an die Grenzen dieser Stadt. Nach dem Motto: Was ich nicht sehe, gibt es nicht.

Verfolgen wir die dazugehörigen Debatten Ihrer Fraktion, stellen wir fest, dass die angebliche Sicherheitspolitik der CDU dazu beigetragen hat, Menschen zu stigmatisieren: Jugendliche, Arme Menschen, Drogenabhängige, Wohnungslose und Migrant*innen. Diese Menschen sind aber Opfer von Kriminalität, und nicht deren Ursache. Wir lösen das Sicherheitsproblem in unserer Stadt nicht, wenn wir Menschen stigmatisieren und vertreiben. Wir lösen es nur, wenn wir auf die Befürfnisse der Menschen schauen und diese so gut es geht erfüllen.

Der aktuelle Jugendbericht sagtganz deutlich, dass sich die Marburger Jugendlichen in unserer Jugend in unserer Stadt verbannt fühlen. Sie haben kaum Orte, an denen sie sein können ohne zu konsumieren. Sie haben kaum Orte, an denen sie einfach und Jugendliche sein können, andere nicht stören und auch selbst ungestört sind. Jugendliche stehen in der Perspektive der CDU immer unter der Lupe der Kriminalität oder werden als Störung betrachtet. Leider haben wir keinen Bericht über die Situation armer Menschen oder Migrant*innen in unserer Stadt. Es ist zu befürchten, dass solche Berichte die gleichen bitteren Schlussfolgerungen wie im Jugendbericht ziehen müssten.

Sicher ist eine Stadt nur, wenn sie sozial ist. Sicher fühlen sich Menschen nur, wenn sie sich nicht am Ende des Tages um ihr Einkommen, ihre Wohnung, ihr Hab und Gut fürchten müssen. Daher ist Sicherheitspolitik für uns immer Sozialpolitik. Da eine solche soziale Sicherheitspolitik aber nicht mit der CDU zu machen ist, wählen wir Sie heute ab.

Danke für die Aufmerksamkeit."